Ein Abend wie ein Geschenk – Gießener Allgemeine – von Heiner Schultz

Gießen (kdw). Nach längerer Unterbrechung fand eine neue Folge der Reihe »Stories. Wein. Musik« statt. Christoph Jilo hatte wieder eine Handvoll sehr attraktiver Geschichten ausgesucht. Als Vorleser im »Who Killed The Pig« agierte der famose Darmstädter Schauspieler Daniel Scholz, für musikalische Ergänzung sorgte der Marburger Gitarrist Michael Diehl.

Seit Februar 2020 war das die erste neue Folge, die stattfinden konnte. »Es kommt einem wie ein kleines Geschenk vor«, sagte Jilo. Zur Einstimmung spielte Fingerstyle-Gitarrist Michael Diehl gut gelaunt (»Ich genieße jede einzelne Note«) und wie immer energiegeladen sich selbst und das Publikum schon mal warm, bevor es heiter losging mit der Geschichte, die die Überschrift des Abends trug: Sakis »Eine ausgesprochen unpassende Geschichte für Kinder« aus dem »Geschichtenerzähler«. Die erzählt ein Junggeselle quengeligen Kindern auf einer Eisenbahnfahrt, nachdem ihre Tante mit ihrer Geschichte gescheitert war. Die Kleinen sind gerade in einer lästigen »Warum?«-Phase und hören erst zu, als der Fremde ihnen eine etwas andere Kost – und geschicktere Antworten – liefert. Der Autor amüsiert sich und die Leser über sprachliche und menschliche Unzulänglichkeiten der Figuren, bis er schließlich damit endet, dass »das brave Mädchen« vom Wolf gefressen wird. Die Kids schweigen, die Tante ist indigniert.

 

Schauspieler Daniel Scholz ist hochmotiviert, als er die Geschichte angeht, und sein Sinn für Humor lässt nicht zu wünschen übrig. Zudem bringt er sämtliche sprachlichen Nuancen zur Geltung.

Fingerstyler Diehl hatte mit einem mächtigen Bluesdröhn eingeleitet, den Druck mit perfekt passenden perkussiven Elementen unterstützt und lieferte mit glasklarem Sound ein differenziertes Spiel. Im nächsten Set agierte er feinfühlig und zurückgenommen – wirklich angenehm.

Raymond Carvers »Warum tanzt ihr nicht?« entfaltet ein wunderbar absurdes Szenario, in dem ein Mann seinen Hausrat in der Hofeinfahrt zum Verkauf anbietet, mit komplett angeschlossenen Geräten allerdings. Ein Pärchen interessiert sich, feilscht ein wenig, und fühlt sich plötzlich wie zu Hause: »Küss mich«, sagt sie zu ihm, aber er mag nicht. Zu diesem Zeitpunkt hat sich Stille über das Publikum gesenkt. Schließlich sitzt man am Küchentisch, draußen in der Einfahrt, und der Besitzer fragt: »Warum tanzt ihr nicht?«, und es kommt einem ganz natürlich vor, wie sie dann die Einfahrt rauf und runter schweben.

 

Der sehr angenehme Abend umfasste noch mehr Musik, noch ein paar Stories und bot dabei eine umfassend gute Atmosphäre; ein Geschenk, ganz richtig.

Beitrag und Beitragsbild: Heiner Schultz