Über Kaffeeduft und Nichtstun – Gießner Allgemeine (usw)

Wettenberg (usw). Der Kunst- und Kulturkreis (KuKuK) lebt und gedeiht prächtig, jetzt, wo wieder Veranstaltungen in bescheidenem Umfang möglich sind. Am Sonntag lief ein Doppelkonzert mit gleich zwei renommierten Musikern der Region: Bassist und Gitarrist Peter Herrmann und der Marburger Gitarrist Michael Diehl traten gemeinsam auf. Motto: »Time for Strings«.

Und es wurde eine gute Zeit.

 

Bei schönstem Sommerwetter hatte man die Geräte im Hof im Schatten des Gebäudes aufgebaut, die Zuhörer saßen locker mit Abstand auf dem Hof, man spürte eine sehr entspannte Atmosphäre. Herrmann und Diehl kennen sich schon länger, zuletzt hatte man sie in Gießen in Dietrich Fabers »Corona-Kultur-Show« auf der Bühne gesehen.

Riesenspaß und Riesenbeifall

Bassist Herrmann begann, plauderte gemütlich mit dem Publikum und legte dann mit einigen Improvisationen los. Zu Beginn erinnerte er an »Chattanooga Choochoo«, später an »Mrs. Robinson«, und die Darbietung auf einem fünfsaitigen Bass sorgte für sehr gitarrenähnliche Klänge und Wendungen. Der vielseitige Herrmann spielt auch versiert Gitarre, konnte man dabei hören.

»Unfassbar viel Spaß« habe ihm die Verfilmung eines Videos über die nicht vor Publikum gezeigte Ausstellung »Fünf« des KuKuK gemacht, den Michael Ackermann und Harald Kessler-Rautenhaus gedreht hatten. Richtig apart wurde es bei Jim Croces »Time in a bottle«, einem poetisch nachdenklichen, von ihm nun ganz im Gitarrenduktus verfassten Titel. Das klang an der frischen Luft wunderbar klar und ohne jede Resonanz oder Dröhnen.

Als Nächster betrat der Marburger Michael Diehl die Bühne. Er ist in dieser Region seit seinem Auftritt auf dem Gleibergfestival im letzten Jahr bekannt. Er pflegt zumeist einen sehr perkussiven Stil, bei dem er diverse Geräte zwecks Background und Ergänzung einsetzt und damit, wenn nötig, einen vollen, druckstarken Sound erzielt.

Diehl spielt prinzipiell Blues, ist aber zu jeder Schandtat oder vielmehr Abwechslung bereit und vor allem fähig. Beim Opener »Blue Inside« stellte er seine effiziente perkussive Spielweise gleich vor und setzte dabei diverse Effekte ein. In den solistischen Momenten präsentierte er einige Rock-Elemente und überzeugte mit einem bildschönen Groove. Der nahm das Publikum komplett mit und zeig- te, dass nun die Zeit des Wohlfühlens richtig angefangen hatte.

Diehl, der durch seine an Stevie Wonder erinnernde Mimik irritieren kann, erwies sich als vielseitiger, abwechslungsreicher und transparent musizierender Musiker, der nichts zuschrammelt; kräftiger Beifall.

Seine Ideen und Themen nimmt er aus dem Alltag, etwa für die schöne, nachdenkliche Ballade »Too much water« über Flüchtlinge in einem Boot auf hoher See. Eine professionell arrangierte und realisierte Ballade, nachdenklich, zurückgenommen, narrativ. Top: Thema und Begleitung wurden glasklar umgesetzt, exzellente Dramaturgie.

Ein Glanzlicht war »Grooving for breakfast«, in dem Diehl seine Assoziationen von Kaffeeduft beim Aufstehen umsetzte. Hochwirksam, kann man sagen, man spürte förmlich die mobilisierende Wirkung, hauptsächlich in den Beinen. Michael Diehl gehört zu den Musikern, die inhaltlich etwas zu sagen haben. Und er hat einen Riesenspaß dabei. Riesenbeifall. Mit »Catch the spirit« zeigte Diehl erneut seine Entertainerqualitäten, nicht ganz so ansprechend fiel »Breakup« aus: etwas zu eintönig, etwas zu lang.

Gemeinsam bereiteten Herrmann und Diehl dann mit einen Titel übers Nichtstun im Lockdown den Zuhörern ein erhebliches Vergnügen, »Crazy lazy«: ein sanftes Gleiten, etwas melancholisch, exzellentes Zusammenspiel, ein guter Stimmungswechsel. Insgesamt ein wirklich hörenswertes Konzert. FOTO: USW

Beitragsbild: USW/Gießner Allgemeine